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Über 100 Apfelsorten beim Apfel- und Birnenmarkt 2024 bestimmt!

Das Jahr 2024 ist ein schlechtes Obstjahr, nicht nur im südlichen Niedersachsen. Eine einzige Spätfrostnacht vom 22. auf den 23. April genügte, um den reichen Blüten- und Fruchtansatz bei Äpfeln und Birnen, Pflaumen und Kirschen in den Gärten und Streuobstwiesen der Region vielerorts komplett oder zumindest zu großen Teilen zunichte zu machen. Entsprechend heruntergeschraubt waren unsere Erwartungen hinsichtlich der Zahl der Interessenten, die beim diesjährigen Apfel- und Birnenmarkt in Duderstadt ihre Obstsorten bestimmen lassen wollten. Würde es sich lohnen, wieder eigens den renommierten und mit den regionalen Besonderheiten bestens vertrauten Sortenkenner Hans-Joachim Bannier aus Bielefeld zu engagieren, wenn vielleicht nur ein paar Hobbygärtner vorbeikommen und in erster Linie ihre Jonagold- und Elstar-Äpfel vorbeibringen, also die krankheitsanfälligen Modesorten der letzten Jahrzehnte, für uns eher uninteressant, wenn es um die Suche und den Erhalt alter robuster Streuobstsorten geht?


Die lange Sortenliste am Ende des zweitägigen Bestimmungsmarathons in der Marktstraße erstaunte uns dann aber doch sehr. Über 300 mitgebrachte Proben konnte der versierte Experte Hans-Joachim Bannier mit seinem fotografischen Gedächtnis, zusammen mit dem Baumwart Mario Becker, zweifelsfrei einer der über 1000 ihm bekannten Apfelsorten zuordnen. Bei vielen Exemplaren genügte ein kurzer Blick auf die Außenansicht und es war klar, dies ist ein Ontario, der nächste Apfel eine Rote Sternrenette. Manchmal musste die Frucht aber auch aufgeschnitten werden, um die Kerne näher unter die Lupe zu nehmen und mit der umfangreichen Kernsammlung in dicken Aktenordnern zu vergleichen, bis das Ergebnis feststand.


Genau 101 verschiedene Apfelsorten wurden beim diesjährigen Duderstädter Apfel- und Birnenmarkt gefunden. Spitzenreiter war der 22-mal vorgelegte Gloster, eine 1950-er-Jahre-Züchtung aus dem Alten Land, die schnell zur Modesorte in den Gärten avancierte. Trotz Schorfanfälligkeit und eher mäßigem Geschmack findet der ertragreiche Apfel, der gut lagerfähig ist, viele Liebhaber. Der Zweitplatzierte heißt Jonagold, den viele aus dem Supermarktregal kennen und dann auch selber anbauen wollen, aber meist schnell merken, dass die Sorte bei feuchter Witterung sehr unter Schorfbefall leidet, den der Erwerbsobstbau nur mit regelmäßigen Fungizidspritzungen in den Griff bekommt. Dann folgen zwei alte Sorten, die sich bereits in den Streuobstbeständen zu Beginn des letzten Jahrhunderts in ganz Mitteleuropa bewährt hatten: die legendäre Goldparmäne, die ihren Ursprung vermutlich schon im 16. Jahrhundert in Frankreich hatte, und der ebenso weitverbreitete Boskoop.


Nicht nur die Gesamtsumme der Sorten ist bemerkenswert, sondern auch viele besondere Einzelfunde zeigen die große Obstsortenvielfalt, die in den Streuobstflächen &-alleen und den Gärten der Region immer noch herrscht.

Neben vielen alten Obstsorten, die unser Verband auch in seiner Sortenbroschüre für Südniedersachsen (2022) beschreibt, finden sich in der Liste auch nicht alltägliche Namen: ein ‚alter‘ Unbekannter ist eine Sorte mit dem vorläufigen Arbeitsnamen „Spe-15“, weil die erfrischend säuerlich schmeckenden gleichmäßig großen gestreiften Herbstäpfel zuerst am Baum Nummer 15 in einem Streuobstbestand bei Speele an der Fulda aufgetaucht sind. Spe-15 bildet mit der Zeit riesige Baumkronen, einzelne Exemplare kommen im ganzen Kreisgebiet verteilt vor. Wo die Sorte ihren Ursprung hat, und unter welchem Namen sie sich einst verbreitet hat, konnte noch nicht ergründet werden. Anders ist dies bei einigen namentlich bekannten Sorten, die aus ganz unterschiedlichen Gegenden Mitteleuropas stammen und bisher nur ganz vereinzelt den Weg in den Göttinger Raum oder ins Eichsfeld gefunden haben, etwa die Oberlausitzer Muskatrenette oder Hesselmanns Schlotterapfel. Letzterer stammt aus dem Bergischen Land, die prinzenapfel-ähnlichen Früchte des gesund wachsenden Baumes sind lange lagerfähig.

 

Rätselhaft bleibt auch der Fund von drei uralten Bäumen der Sorte Welschisner bei Mingerode. In Süddeutschland und Oberösterreich ist der Welschisner als robuste Streuobstsorte, die auch in höheren Lagen gut gedeiht, weit verbreitet. Bei uns war dagegen bisher kein Baum dieser Sorte, deren klobige rotbackige Früchte man zwar bis ins Frühjahr lagern kann, die aber heutigen Ansprüchen an Tafelapfelqualitäten nicht genügt, bekannt. Die drei Mingeröder Bäume wurden wahrscheinlich schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf einer Streuobstwiese in der Hahleaue gepflanzt. Nach und nach sind ihre Mitbäume auf der Wiese den Unbillen des Lebens und fehlender Pflege zum Opfer gefallen, jetzt stehen sie zusammen mit einer Coulons Renette, eine in der Region nur selten vorkommende Sorte aus der Gruppe der unscheinbaren Grauen Renetten, als letzte Zeugen einer vergehenden Streuobstkultur in der Landschaft. 

 

Diese vergehende Streuobstkultur des letzten Jahrhunderts gilt es mit zukunftstauglichen Obstsorten wiederzubeleben, eine unserer wichtigen Arbeitsschwerpunkte im Landschaftspflegeverband (LPV). Seltene Sorten werden dazu in eigens dafür angelegten Sortengärten kultiviert, mit finanzieller Unterstützung des Landkreises findet in alten, über längere Zeit nicht gepflegten Streuobstbeständen wieder ein Baumschnitt statt, und vor allem werden in Baumwartkursen Menschen ausgebildet, die sich wie ihre Vorfahren um die Obstbäume in der Landschaft kümmern wollen. Während früher „nur“ der Obstertrag im Fokus des Wirtschaftens stand, ist heute der Naturschutzwert der überaus artenreichen Streuobstbestände ein zusätzlicher Beweggrund, solche im Vergleich zu anderen Biotoptypen recht pflegeintensiven Lebensräume für Pflanzen, Tiere und Menschen nicht der Vergangenheit zu überlassen.


Gez. Ulrich Scheidel – Baumwart beim LPV Göttingen

Sortenbestimmung beim Apfel- und Birnenmarkt in Duderstadt im Oktober 2024
Sortenbestimmung mit Hans-Joachim Bannier und Mario Becker am LPV-Stand
"Alter Unbekannter" - Sorte mit dem vorläufigen Arbeitsnamen „Spe-15“